Realität

Wir kennen Parabeln über die Relativität von Realität. Zum Beispiel die vom Elefanten, der von mehreren Menschen in absoluter Dunkelheit untersucht wird, um festzustellen, um was für ein Tier es sich handelt. Je nachdem, welches Körperteil einer dieser Menschen berührt, bekommt er den Eindruck eines anderen Tieres.

Wir kennen auch das Problem des unendlichen Turms an Schildkröten. Sobald wir die Realität auf eine Erklärung zurückgeführt haben, beispielsweise die Existenz einer bestimmten Schildkröte, können wir sofort weiterfragen. Bis wir auf die nächste Schildkröte stossen. Schluss ist erst, wenn wir das beschliessen - wenn wir uns für eine Stopp-Schildkröte entscheiden.

Wenn ich mich auf einen Teil des Elefanten konzentriere, diesen zur Stopp-Schildkröte erkläre und mein Weltbild daraus ableite, dann wird es schwierig, sich mit jemamdem zu unterhalten der dasselbe mit einem anderen Teil des Elefanten getan hat. Das klingt maximal absurd, aber das ist exakt das, was passiert, wenn wir unsere Algorithmen nicht ordentlich erziehen.

Tristan Harris beschreibt in seinem Vortrag auf der vergangenen SXSW was es bedeutet, wenn die KI mit der höchsten Marktkapitalisierung (unter KIs) sich darauf fokussiert, die Aufmerksamkeit von Menschen bestmöglich zu binden, um diese Aufmerksamkeit dann in Geld zu übersetzen. Diese Maschine beschreibt uns eine Realität, die auf uns zugeschnitten ist und verstärkt diese anschliessend. Ein nicht endender und ausschnitthafter Realitätszoo.

Ein Beispiel für diese Unendlichkeit ist Aza Raskins Idee des "infinite scroll". Manche von uns erinnern sich noch, dass es mal ein Ende einer Webseite gab. Man musste dann auf einen Knopf drücken, um mehr zu sehen. Das war umständlich. Diesen Klick kann man dem User abnehmen, war die Annahme. Dieser einfach Eingriff kostet inzwischen Aza Raskin tut diese Erfindung inzwischen leid. Sie verschwendet pro Tag ungefähr 200.000 Menschenleben an sinnloser Scroll-Zeit.

In einer Zeit, in der unsere Aufmerksamkeit auf die Lösung überlebensbedrohender Probleme mehr als notwendig ist, ist es wenig hilfreich, wenn wir unsere Zeit scrollend in unseren jeweiligen Micro-Realitäten verbringen. Technologie wirkt Meme- und Kraft-verstärkend. Jeder noch so kleine Algorithmus kann eine Kraft entwickeln, unsere Welt aus den Angeln zu heben.

Dem hohen Niveau an Macht, das wir uns mit Technologie geschaffen haben, müssen wir mit einem ebenso hohen Niveau an Weisheit, Liebe und Menschlichkeit begegnen. Deshalb tun wir was wir tun als delodians.

Wir wissen, dass die Stopp-Schildkröte auf die wir uns geeinigt haben, nicht die letzte Schildkröte ist. Wir wissen, dass wir nur einen Teil des Elefanten sehen. Deshalb sind wir vorsichtig damit, zu starre Meinungen zu haben - wir sind offen zu lernen. Aber gleichzeitig können wir uns auf ein gemeinsames Bild der Welt verständigen, auf Werte die wir in Algorithmen sehen wollen und solche die wir nicht sehen wollen.

Wir wünschen uns, dass wir - als Menschheit - Wege finden, uns auf ähnliche Weise auf eine geteilte Realität zu einigen. Nur dann sind wir handlungsfähig. Einen kleinen Beitrag dazu machen wir mit unserem (kostenlosen) Framework LUCID.

Thomas Schindler